Eine „sinnliche“ Verbindung: die Darm-Hirn-Achse

Schmetterlinge im Bauch

Sicher hatten Sie schon mal ein „flaues Gefühl“ im Magen? Wird Ihnen bei bestimmten Menschen oder Situationen „übel“ (im übertragenen Sinne)? Hatten Sie schon einmal „Schmetterlinge“ im Bauch? Nicht von ungefähr sind diese Redeweisen ein fester Bestandteil unserer Alltagssprache. Unser Verdauungstrakt reagiert empfindlich auf Gefühle. Wut, Angst, Traurigkeit, Hochgefühl: Emotionen können Symptome im Darm auslösen. Auch Stress steht häufig im Zusammenhang mit Magen-Darm-Beschwerden, beispielsweise in Form der sogenannten Dyspepsie oder des Reizdarmsyndroms.

Das Gehirn hat einen direkten Draht zum Magen. Allein der Gedanke ans Essen setzt Magensäfte frei. In umgekehrte Richtung sendet ein gestörter Darm Signale an das Gehirn und löst Angst, Stress oder Depressionen aus. Das Gehirn und das Magen-Darm-System sind so eng miteinander verbunden, dass sie in bestimmten Funktionsbereichen nahezu wie ein einziges System fungieren.

Das gilt insbesondere dann, wenn der Darm Probleme bereitet und weder körperliche noch infektiöse Ursachen erkennbar sind. Bei solchen funktionellen Magen-Darm-Erkrankungen sind unbedingt die Auswirkungen von Stress und Emotionen zu berücksichtigen. Denn werden diese vernachlässigt, dann bleibt ein Therapieerfolg fraglich.

Das zweite Gehirn

Um die Auswirkungen von Stress auf den Darm zu verstehen, ist es hilfreich, die Parallelen und Verbindungen zwischen dem Gehirn und dem Verdauungssystem zu kennen. Der Darm wird durch das enterische Nervensystem (ENS) gesteuert, ein komplexes System von etwa 100 Millionen Nerven, das die Verdauung en Detail überwacht. Das ENS wird wiederum stark vom zentralen Nervensystem (ZNS) beeinflusst, mit dem es über Nervenbahnen kommuniziert.

Das „zweite Gehirn“, wie das ENS manchmal genannt wird, entsteht während der fötalen Entwicklung aus denselben Geweben wie das ZNS. Wie das „Kopfhirn“ umfasst auch das „Darmhirn“ sensorische und motorische Neuronen sowie Gliazellen, die die Neuronen unterstützen und schützen. Und das ENS verwendet viele derselben Neurotransmitter, also chemische Botenstoffe, die auch das ZNS nutzt.

Abb.: Vegetatives Nervensystem mit Parasympathikus links und Sympathikus rechts (Quelle: Sciencia58, CC BY-SA 3.0 Wikimedia Commons: https://creativecommons.org/ licenses/by-sa/3.0)

Das ENS ist in die Darmwand eingebettet und steht während der gesamten Reise der Nahrung durch den Verdauungstrakt in einem regen Dialog mit dem Gehirn. Die ENS-Zellen in der Darmwand kommunizieren mit dem Gehirn über das autonome Nervensystem, den Teil des Nervensystems, der die Lebensfunktionen des Körpers steuert. Als Teil dieses Systems leiten die Nerven des Sympathikus, die die „Kampf-oder-Flucht“-Reaktion steuern, Impulse vom Darm zum Rückenmark und dann zur Basis des Gehirns.

Die Nerven des Parasympathikus, manchmal auch als „Ruhe- und Verdauungsnerven“ bezeichnet, wirken dem Sympathikus entgegen. Sie leiten Signale über den Vagusnerv aus dem oberen Darm oder über die Sakralnerven aus dem Dickdarm an die Gehirnbasis weiter. Die Übertragung erfolgt in beide Richtungen; Darm und Gehirn nutzen ihre gemeinsamen Neurotransmitter, darunter Acetylcholin und Serotonin, um Informationen über diese beiden Nervensysteme hin und her zu senden.

Dieses bidirektionale Kommunikationssystem zwischen Darm und Gehirn erklärt, warum man aufhört zu essen, wenn man satt ist. Denn sensorische Neuronen im Darm teilen dem Gehirn mit, dass der Magen gefüllt ist. Umgekehrt verdirbt einem die Angst vor der anstehenden Prüfung den Appetit auf das Frühstück. In diesem Fall aktiviert das Stressmomentum die Kampf-oder-Flucht-Reaktion, die sowohl die Magen-Darm-Sekretion hemmt wie auch den Blutfluss zum Darm reduziert.

 


Sympathikus und Parasympathikus sichtbar machen

Mit Hilfe einer Messung der Herzratenvariabilität bzw. des Vegetativen Nervensystems (VNS-Analyse) ist es möglich, die Aktivität des autonomen Nervensystems sichtbar zu machen. Besteht eine Balance zwischen Sympathikus und Parasympathikus? Verfügt der Körper im Falle einer Dysbalance über ausreichend Reserven, einen Ausgleich wiederherzustellen? Liegen Anzeichen vor, die einer tiefergehenden Aufklärung bedürfen? All dies kann über die VNS-Analyse dargestellt werden. Lesen Sie mehr zu diesem Thema im Fachbeitrag „VNS-Analyse bei Stress“ (Dr. A. Wies, Nov.21)


Die Darm-Hirn-Achse

Wenn man bedenkt, wie eng der Darm und das Gehirn miteinander interagieren, liegt es auf der Hand, dass sich die beiden oft gegenseitig beeinflussen. Emotionale und psychosoziale Faktoren sind deshalb bei funktionellen Magen-Darm-Störungen stets miteinzubeziehen.

Die stressbedingten Symptome im Magen-Darm-Trakt sind von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich. So kann eine gastroösophageale Refluxkrankheit nur zu gelegentlich leichtem Brennen in der Brust führen, aber auch Nacht für Nacht starke Beschwerden auslösen. So wie der Schweregrad der Symptome variiert, sollten auch unterschiedliche Therapien zu ihrer Linderung eingesetzt werden.

Bei manchen Menschen bessern sich die Symptome, sobald eine ernsthafte Diagnose, wie z. B. Krebs ausgeschlossen werden kann. Andere sprechen schnell auf eine Umstellung der Ernährung an.

Die aktuelle Forschung zeigt, dass sich durch die Sanierung des Darmmikrobioms Angststörungen oder leicht depressive Zustände bessern können.

Blut-Liquor-Schranke ändert die Sichtweise

Wissenschaftler der Humanitas Universität Mailand fanden zusätzlich zur weithin bekannten Blut-Hirn-Schranke eine weitere Membran, nämlich die Blut-Liquor-Schranke. Im Gegensatz zur Blut-Hirn-Schranke ist diese teilweise permeabel. Die Blut-Liquor-Schranke macht jedoch dicht, das heißt sie schließt ihre Schleusen (tight junctions), sobald Gefahr „von außen“ droht. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn aufgrund eines entzündlichen Darmgeschehens, Entzündungsmediatoren zum Gehirn gelangen. Das Gehirn ist somit kurzfristig und zumindest kurzzeitig gut geschützt. Allerdings wird hierdurch die wichtige Darm-Hirn-Achse als Kommunikationsweg eingeschränkt oder gar blockiert.

Untersuchungen weisen darauf hin, dass ausbleibende Signale vom Darm im Gehirn u.a. Angst oder depressive Phasen auslösen können. Durch eine Sanierung des Darmgeschehens ist es dem Forscherteam allerdings gelungen, diesen Prozess rückgängig machen. Dabei wurde in mehreren Beobachtungsstudien der Einsatz von Postbiotika (konkret das Produkt „PostbiotiX“) äußerst positiv bewertet. Diese Erfahrungen bestätigen sich auch in unserer Praxis. Wir stellen ebenfalls rasche Erfolge bei der Sanierung des Verdauungstraktes fest, sobald wir in die Behandlung PostbiotiX integrieren.

Eine naturheilkundliche Therapie des Darms kann somit ein wichtiger Schritt zur Stabilisierung von psychischen Störungen, wie etwa Angststörungen sein. Allerdings sollte die naheliegende psychische Komponente keinesfalls unberücksichtigt bleiben.

Integrativer Behandlungsansatz

Manchmal kommen Therapien, die allein auf die Physis ausgerichtet sind, an ihre Grenzen. Einige Menschen sträuben sich, die Rolle psychosozialer Faktoren bei ihrer Krankheit zu akzeptieren. Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass Emotionen echte chemische und körperliche Reaktionen im Körper hervorrufen, die zu Schmerzen und Unwohlsein führen können. Es sind eben die gegenläufigen Signalwege, die uns in beide Richtungen beeinflussen. Von der Physis zur Psyche und umgekehrt.

Techniken zum Stressabbau, wie Meditation und Entspannungstherapien bewirken zwar keine unmittelbare Schmerzlinderung. Vielmehr geht es darum, Ängste abzubauen und Stress fördernde Verhaltensweisen zu ändern.

Die Entspannungstherapie hilft Menschen, Spannung zu reduzieren, wenn sie mit Schmerzen oder Stress konfrontiert sind. Während und nach einer Entspannungstherapie beginnen die Gedanken langsam und natürlich zu fließen, die Muskelspannung lässt nach, die Atmung wird langsamer, tiefer und regelmäßiger (siehe „Tiefes Atmen als Hilfe für Ihren Bauch“). Dadurch kann der Parasympathikus („Ruhe und Verdauung“) die Kontrolle übernehmen. Das Ergebnis? Der Körper kommt wieder in seine Balance und kann mehr Energie, beispielsweise für die Verdauung bereitstellen.

equalance Behandlungsansatz

Aus den genannten Gründen integrieren wir in unserer Praxis Methoden für Physis und Psyche und setzen neben naturheilkundlichen Verfahren modernste gerätebasierte Therapien, aber auch psychotherapeutische Maßnahmen (wie Coaching und QiGong) ein. Alle Verfahren haben letztendlich zum Ziel, das innere Gleichgewicht anzustreben, Spannung zu reduzieren und den eigenen Energiefluss zu aktivieren.

Falls Sie weitere Fragen zu diesem Thema oder unseren Behandlungen haben, so stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Literatur
  • Bonaz B.: The Vagus Nerve at the Interface of the Microbiota-Gut-Brain-Axis. Neurosci., 07 Feb. 2018. Sec. Autonomic Neuroscience https://doi.org/10.3389/fnins.2018.00049
  • Cena Hellas: Postbiotics for the management of patients with Gastrointestinal Disorders. Journal of Clinical Medicine and Therapy. Year XXVI, Vol. 24, Nr. 6/2022.
  • Cena et. al.: Identification of a choroid plexus vascular barrier closing during intestinal inflammation. Science 2021
  • Johnson K V-A: Gut microbiome composition and diversity are related to human personality traits. Human Microbiome Journal. Vol. 15, March 2020, 100069

Autor: Dr. Andreas Wies (HP) equalance Naturheilpraxis, München 2023.

Beitrag „Darm-Hirn-Achse“ als pdf-download >>