Die Welt des Darms: Prae-, Pro-, Postbiotika

Mikrobiota: „das vergessene Organ“

Auf und in unserem Körper leben ca. 100 Billionen (1014) Mikroorganismen. Das ist weitaus mehr als die Zahl unserer menschlichen Zellen. Alle auf der Oberfläche und im Inneren des Körpers vorhandenen Mikroorganismen zusammen werden als Mikrobiota bezeichnet, während ihr genetischer Anteil das Mikrobiom darstellt. Diese komplexe Gemeinschaft umfasst Bakterien, Eukaryonten, Viren und Archaeen, die untereinander und mit uns, dem Wirt, interagieren und unsere Gesundheit und Physiologie stark beeinflussen. Deshalb wird die Mikrobiota auch als „das vergessene Organ“ bezeichnet (4).

Die Mikrobiota verteilt sich auf alle anatomischen Bereiche, die in ständigem Kontakt mit der Umwelt stehen (z.B. Haut, obere Atemwege oder Urogenitaltrakt); die meisten befinden sich im Gastrointestinaltrakt.

Für die Mikroorganismen bietet der menschliche Körper ein stabiles nährstoffreiches Umfeld. Doch auch wir profitieren von einem ausgewogenen Mikrobiom: Es stimuliert das Immunsystem, es verbessert die Verdauung, die Aufnahme von Vitalstoffen und den Schutz der Darmbarriere. Die positiven Auswirkungen sind nicht nur lokal im Verdauungstrakt, sondern auch in entfernten Organen festzustellen. Die systemische Verteilung der im Darm produzierten Stoffe und Zellen machen das möglich. Dieses Phänomen wird als „Darm-Organ-Achse“ bezeichnet, daneben existieren z.B. die Darm-Hirn-, Darm-Haut- und Darm-Lungen-Achse (1).

Die ersten Schritte des Mikrobioms

Die Erstbesiedlung des Verdauungstrakts gilt als wegweisend für die weitere Entwicklung der Darmmikrobiota (4). Denn die wechselseitige Beziehung zwischen Organismus und Darmmikrobiota wird in den ersten zwei bis drei Lebensjahren aufgebaut. Bis zur Geburt ist der Gastrointestinaltrakt (GI) des Fötus steril. Danach beginnt die Kolonisierung des Neugeborenen. Je nach Art der Entbindung sind die Kategorien der Mikroorganismen von haut-ähnlicher (Kaiserschnitt) oder vaginal-ähnlicher (vaginale Geburt) Zusammensetzung.

In den ersten Lebenswochen ist die Aktivität des Immunsystems reduziert. Hierunter fallen insbesondere sie sogenannten Toll-like-Rezeptoren (TLRs), das sind Proteine, mit denen bakterielle Antigene erkannt werden. Durch diese anfängliche „Schleichfahrt“ des Immunsystems wird möglicherweise die notwendige Bildung einer bakteriellen Gemeinschaft im Darm ermöglicht.

Reifung der Mikrobiota

Gegen Ende des ersten Lebensjahres beginnt die bakterielle Zusammensetzung der Mikroorganismen des Darms mit einem Reifungsprozess. Mit dem Wachstum des Kindes und dem Verzehr fester Nahrung verstärkt sich die Diversifizierung der Mikrobiota. Im Alter von zweieinhalb bis drei Jahren nähert sich die mikrobielle Gemeinschaft einer Zusammensetzung an, die der eines Erwachsenen ähnelt. Gleichzeitig „lernt“ das Immunsystem, kommensale von pathogenen Bakterien zu unterscheiden.

Mit Erreichen des Erwachsenenalters ist eine relativ stabile (aber von Individuum zu Individuum unterschiedliche) Zusammensetzung der mikrobiellen Gemeinschaft erreicht, in der die Stämme (Phylae) Bacteroidetes und Firmicutes weitgehend vorherrschen. Diese Stabilität setzt jedoch voraus, dass viele Variablen, darunter die Ernährung und Umweltfaktoren, ebenfalls stabil gehalten werden (4).

Funktionen der Darmmikrobiota

Die Darmmikrobiota erfüllt wichtige Funktionen, die sich in drei Kategorien einteilen lassen: strukturelle, metabolische und schützende Funktionen.

STRUKTURELLE FUNKTIONEN

Die Mikrobiota …
_ trägt bei zur Differenzierung der Zellen des Darmepithels. Diese bilden die Schleimhautbarriere, die dünne Mucusschicht darüber und die Basalmembran darunter.
_ schützt die tight junctions, die zur Bildung der Schleimbarriere beitragen und die Epithelzellen fest zusammenhalten.
_ triggert die Transkription des Faktors Angiogenin-3, der eine aktive Rolle bei der Neubildung kleiner Blutgefäße im Darm spielt.

STOFFWECHSELFUNKTION

Die Mikrobiota…
_ verwertet Nahrungsbestandteile und wandelt sie um in nützliche Endprodukte.
_ wandelt toxischen Substanzen um oder beseitigt diese.
_ produziert Fäkalienmasse, die die Transitzeit verkürzt und toxische Substanzen verdünnt.

SCHUTZFUNKTION

Die Mikrobiota bedient sich im Wettbewerb mit pathogenen Bakterien verschiedener Mechanismen, zum Beispiel
_ der Produktion von Stoffen, die in der Lage sind, pathogene Keime zu inaktivieren,
_ dem Entzug von Nährstoffen,
_ der Veränderung des pH-Werts des Darms
_ und der Aufrechterhaltung der Schleimhautbarriere.
Sie spielt eine grundlegende Rolle bei der Entwicklung des Immunsystems, indem sie die Aktivierung der angeborenen und der adaptiven Immunität bewirkt (5).

Folgenreiche Dysbalance der Mikrobiota

Das Verständnis der Mechanismen, die die Stabilität der Mikrobiota im Wirt regulieren, ist wichtig für die Korrektur einer Dysbiose, d.h. eines Ungleichgewichts in der mikrobiellen Gemeinschaft (4).

Zu den wichtigsten Faktoren, die die Zusammensetzung der Mikrobiota in den ersten Lebensjahren negativ beeinflussen und später mit dem Auftreten von Asthma oder Allergien in der Kindheit in Verbindung gebracht werden, gehören Kaiserschnitt, geringere Exposition gegenüber der äußeren Umgebung (Verstädterung), Fütterung mit formulierter Milch (anstelle des Stillens), Krankenhausaufenthalt, Schwangerschaftsdauer (Frühgeborene) und Antibiotikatherapie (2)(6).

Eine suboptimale Entwicklung der Darmmikrobiota in der frühen Kindheit steht in engem Zusammenhang mit einer späteren Anfälligkeit für bestimmte Erkrankungen.

Folgen einer Dysbiose

ine Dysbiose geht häufig mit einem übermäßigen Wachstum pathogener Bakterien oder Pilzen einher. Veränderungen in der Zytokinproduktion und Entzündungsreaktionen sind die Folge. Diese Gemengelage trägt bei zur Entstehung verschiedener Krankheiten (4). Hierunter fallen insbesondere entzündliche Darmerkrankungen (Morbus Crohn und Colitis ulcerosa), Autoimmunerkrankungen (wie Lupus, Multiple Sklerose, Psoriasis und rheumatoide Arthritis) sowie Asthma und allergische Erkrankungen (2). Diese chronischen Entzündungsreaktionen schaffen zudem eine „Abwärtsspirale“, welche zu einem weiteren Diversifizierungsverlust an mikrobiellen Spezies, mit entsprechenden gesundheitlichen Folgen, beiträgt (2).

Optionen zur Korrektur einer Dysbiose

Welche Möglichkeiten gibt es, um diesen Teufelskreis zu unterbrechen? Drei naheliegende Optionen, um die Mikrobiota zu modulieren und die Dysbiose zu korrigieren, sind die Verwendung von Präbiotika, Probiotika oder Postbiotika.

Präbiotika…

dienen den Mikroorganismen als Nahrung und können sich auf diesem Weg günstig auf die Gesundheit des Wirts auswirken. Zu den Präbiotika zählen beispielsweise Oligosaccharide aus Humanmilch – HMO, Lactulose und Inulinderivate (1). Der natürlichste Weg, um den Darm mit Praebiotica zu versorgen ist, Lebensmittel mit einem hohen Anteil an Ballaststoffen, zu verzehren. Hierzu zählen beispielsweise Bohnen, Vollkornprodukte und bestimmte Gemüsesorten. Diese werden im Körper aufgespalten und bilden die Substanzen, die den Probiotika helfen, in Ihrem Darm zu wachsen und zu gedeihen.

Probiotika…

hingegen beeinflussen die Darmmikrobiota direkt durch die selektive Zufuhr von Mikroorganismen, die sich günstig auf den Verdauungstrakt auswirken. Laut WHO-Definition von 2002 sind Probiotika lebende Mikroorganismen, die in ausreichender Menge verabreicht werden und eine positive Wirkung auf die Gesundheit des Wirts haben (1). Obwohl verschiedene Meta-Analysen die klinische Wirksamkeit von Probiotika bei einigen Krankheiten (einschließlich akuter Magen-Darm-Infektionen und entzündlicher Darmerkrankungen) bestätigen, stellen einige Berichte ihre Wirksamkeit und Sicherheit in Frage, insbesondere bei Patienten mit hohem Risiko (Kinder, Alte, Immungeschwächte). Daher wächst das Interesse an alternativen Möglichkeiten wie Postbiotika (1).

Postbiotika…

sind Zubereitungen aus nicht lebenden Mikroorganismen und deren (Zwischen-) Produkte aus Stoffwechselaktivitäten; diese üben beim Verzehr direkt oder indirekt eine positive Wirkung aus (1).

Immunmodumodulation: Postbiotika besitzen die Fähigkeit, die Differenzierung regulatorischer T-Lymphozyten (Treg) und die Synthese entzündungshemmender Zytokine einzuleiten. So stellen Postbiotika das Gleichgewicht zwischen den beiden Hauptkomponenten des Immunsystems, die durch Th1- und Th2-Lymphozyten repräsentiert werden, wieder her. Das ist für die Immunregulation von grundlegender Bedeutung, da die Störung des Gleichgewichts zwischen Th1- und Th2-Lymphozyten als Auslöser verschiedener Autoimmunerkrankungen gilt.

Das Postbiotikum Butyrat, eine kurzkettige Fettsäure, induziert beispielsweise die Differenzierung von regulatorischen T-Zellen (Treg) mit entzündungshemmender Wirkung im Darm. Propionat, ebenfalls eine kurzkettige Fettsäure, verstärkt die Bildung von peripheren Tregs (1).

Verschiedene postbiotische Fraktionen, die aus Bacillus coagulans-Kulturen isoliert wurden, induzieren ebenfalls die Produktion von entzündungshemmenden Zytokinen, indem sie Th2-abhängige Immunreaktionen fördern.

Postbiotika stärken Barriere gegen pathogene Bakterien

Die antibakterielle Aktivität der Postbiotika wird wahrscheinlich durch ihre Wirkung auf die Struktur der Enterozyten vermittelt, was zu einer Stabiliserung der Darmbarriere führt. Im Hinblick auf die „statinähnliche“ Aktivität von Postbiotika wird ihre künftige klinische Anwendung mit Spannung erwartet (1).

Einige Postbiotika können direkte antimikrobielle Wirkungen entfalten,
_ indem sie die Darmbarriere „versiegeln“,
_ anbinden an die von pathogenen Bakterien benötigten Rezeptoren und diese verdrängen,
_ die Expression einiger Wirtsgene verändern oder
_ die lokale Umgebung modulieren (1).

Zur Verbesserung des täglichen Wohlbefindens bieten Postbiotika den großen Vorteil, dass das Problem des Erwerbs von Genen, die eine Antibiotikaresistenz und Virulenzfaktoren verleihen können, vermieden wird: Dies kann bei der Verwendung von Probiotika durchaus der Fall sein.

Probiotika, Postbiotika oder beide?

Postbiotika machen den Verzehr von lebenden Mikroorganismen (Probiotika) überflüssig.

Postbiotika beeinflussen…
_ die Immunmodulation durch Schaffung eines Gleichgewichts zwischen den Hauptkomponenten des Immunsystems (Th1 und Th2 Lymphozyten)
_ die Prävention von Infekten, aufgrund ihrer antibakteriellen Aktivität (Festigung der Darmbarriere)
_ den Fett- bzw. Cholesterinstoffwechsel
_ haben antioxidative Kapazität.

Falls Sie mehr über Prae- Pro- und Postbiotika erfahren möchten, so stehen wir Ihnen in der equalance Naturheilpraxis gerne zur Verfügung.

Literatur
– Cena Hellas: Postbiotics for the management of patients with Gastrointestinal Disorders. Journal of Clinical Medicine and Therapy. Year XXVI, Vol. 24, Nr. 6/2022.
– (1) Zołkiewicz J, Marzec A, Ruszczynski M, Feleszko W. Postbiotics – A Step Beyond Pre- and Probiotics. Nutrients 2020;12:2189; doi:10.3390/ nu12082189.
– (2) Fujimura KE, Slusher NA, Cabana MD, Lynch SV. Role of the gut microbiota in defining human health. Expert Rev Anti Infect Ther 2010;8:435e54.
– (3) Tsilingiri K, Barbosa T, Penna G, Caprioli F, Sonzogni A, Viale G, Rescigno M. Probiotic and postbiotic activity in health and disease: comparison on a novel polarised ex-vivo organ culture model. Gut 2012 Jul;61(7):1007-15.
– (4) Clemente JC, Ursell LK, Wegener Parfrey L, Knight R. The Impact of the Gut Microbiota on Human Health: An Integrative View. Cell 148, March 16, 2012.
– (5) Capurso L. Il microbiota intestinale. Recenti Prog Med 2016; 107:257-266.
– (6) Stiemsma LT, Michels KB. The Role of the Microbiome in the Developmental Origins of Health and Disease. Pediatrics 2018;141(4):e20172437.
– (7) Aktas B, Aslim B. Gut-lung axis and dysbiosis in COVID-19. Turk J Biol 2020;44:265-272.
– (8) Dhar D, Mohanty A. Gut microbiota and Covid-19- possible link and implications. Virus Research 2020;285:198018.
– (9) de Oliveira GLV, Oliveira CNS, Pinzan CF, de Salis LVV, Cardoso CRB. Microbiota Modulation of the Gut-Lung Axis in COVID-19. Frontiers in Immunology. February 2021; Volume 12, Article 635471.
– (10) Foglietto illustrativo postbiotico (Fermentato di FOS da Lactobacillus paracasei CNCM I-5220).

Autor: Dr. Andreas Wies (HP) equalance Naturheilpraxis, München 2023.

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